Hesse, Christian u.a. (Hrsg.): Eroberung und Inbesitznahme

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Titel
Eroberung und Inbesitznahme. Die Eroberung des Aargaus 1415 im europäischen Vergleich


Herausgeber
Hesse, Christian; Regula Schmid, Roland Gerber
Erschienen
Ostfildern 2017: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
311 S.
Preis
€ 45,00
von
Felix Müller

2015 jährte sich die Eroberung des Aargaus durch die Eidgenossen zum 600. Mal. Es war das in der Öffentlichkeit am wenigsten zur Kenntnis genommene Jubiläum des Jahrs, neben Morgarten, Marignano und dem Wiener Kongress. Umso verdienstvoller ist, dass Christian Hesse, Regula Schmid und Roland Gerber dazu 2015 eine Tagung organisiert haben und die dort gehaltenen Vorträge nun in einem gediegenen Band präsentieren.

Ausgangspunkt für das Thema der Tagung war die Beobachtung, dass im ersten Viertel des 15. Jahrhunderts in Europa eine ganze Reihe von «gewaltsamen Herrschaftsaneignungen» erfolgten. Christian Hesse entwickelt in der Einleitung am Beispiel des Aargaus die Themen und Fragestellungen: Nach der Eroberung oder Annexion mussten die Gebiete gesichert, die Herrschaft ausgebaut und eine Verwaltung aufgebaut werden. Die neuen Herrscher mussten eine Legitimation für ihr Handeln vorlegen und einen Ausgleich mit den Verlierern finden. Diese drei Themenkreise werden im Band jeweils aus eidgenössischer und aus internationaler Sicht betrachtet. Im Folgenden beschränke ich mich auf einige eidgenössische Beiträge.

Peter Niederhäuser umreisst in seinem Beitrag die Person Herzog Friedrichs IV. und seine Situation im Jahr 1415. Friedrich hatte 1404 eine schwierige Situation angetreten: Familienstreit, Schulden, kaum Präsenz in den Vorlanden und bald Konflikte in der Ostschweiz (Appenzeller Krieg) und in Tirol mit dem Adel – beide konnte Friedrich unterdrücken und rivalisierende Fürstbischöfe zurückbinden. Mit einem grossen Lehentag in Baden demonstrierte er habsburgische Stärke und schloss mit den Eidgenossen den Fünfzigjährigen Frieden. Dennoch erkennt Niederhäuser strukturelle Probleme: Der Umfang der habsburgischen Herrschaft erschwerte eine effiziente Verwaltung, ein Grossteil des Besitzes in der heutigen Schweiz war verpfändet. Wer sollte die Macht für die Habsburger ausüben? Wer war zuverlässig und verfolgte nicht primär eigene Interessen? Das trifft zweifellos zu, doch: Hatten andere Fürsten diese Probleme nicht auch?

Die bernische Politik von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis 1415 untersucht Roland Gerber. Nach dem Laupenkrieg trachtete Bern danach, seine Vormachtstellung in der Landgrafschaft Burgund zu sichern, vor allem mit Landfriedensverträgen mit allen wichtigen Herrschaftsträgern. Mit dem Versuch Leopolds III. nach 1373, seine Landesherrschaft auszubauen, geriet Bern unter Druck, auch von Freiburg. Ein Wechsel im Regiment 1384 konnte Berns finanzielle Situation stabilisieren, ab 1393 erfolgte eine Territorialpolitik mit Intensivierung der bestehenden Herrschaft und dem Knüpfen von Banden in den Aargau. Nachdem Luzern aber Bern Willisau weggeschnappt hatte, griff Bern aktiver in den Aargau aus. Der Fünfzigjährige Frieden bedeutete ein Hindernis dafür, worauf Bern mit einer aktiven Kriegsvorbereitung begann – der Kriegszug 1415 war bloss die Konsequenz davon.

Martina Stercken betrachtet die kleinen Herrschaftsträger, ihren Spielraum und ihr Handeln, und die Frage, ob sie die Herrschaftsverhältnisse mitgeformt haben. Dabei dominieren Adel und Kleinstädte den Beitrag, während geistliche Institutionen etwas zu kurz kommen.

Das Schicksal der adligen habsburgischen Gefolgsleute im Aargau verfolgt Bruno Meier: Die Familien konnten sich sehr unterschiedlich behaupten – Eigengut half dabei. Entsprechend dauerte die Konsolidierung der neuen Herrschaft zum Teil lange, in den Gemeinen Herrschaften war sie erst gegen Ende des Jahrhunderts abgeschlossen, wenn Lücken in der schriftlichen Überlieferung ausgeschlossen werden.

Barbara Studer Immenhauser schildert, wie Bern im Lauf der Zeit die Landvogteien im (Unteren) Aargau errichtete – die letzte erst 1732, nach dem Kauf der Herrschaft Kasteln. Nicht klar wird jedoch, auf welchen Titel Bern seine Landeshoheit abstützte, jedenfalls abgesehen von den Städten, wo sie in der Kapitulation festgehalten wurde. Zudem leidet der Beitrag an zu forschen Aussagen wie: «Die Verwaltung war nämlich seit dem Mittelalter nicht ausgebaut worden, sie bestand auch 1798 nur aus den wenigen genannten Amtsträgern» (S. 174) – wenn man nur die Beamtungen der Landvogteien betrachtet, mag die Aussage stimmen, sie blendet aber neue Zweige der zentralen Verwaltung wie die Zollverwaltung ebenso aus wie die Chorgerichte und die Zahl der Mitarbeiter.

Die schwierige Situation in den Gemeinen Herrschaften, namentlich den Freien Ämtern, beleuchtet Anne-Marie Dubler. Die inneren Orte betrachteten die Gemeinen Herrschaften als ihren Teil der Beute, da sie sonst von den Städteorten umschlossen waren. Nach der Reformation verstärkte sich die Kluft. So war der Aufbau einer gemeinsamen Verwaltung schwierig – die Eidgenossen insgesamt erwarben nach 1528 keine weiteren Herrschaften.

Die «Ewige Richtung» und die folgenden Verträge zwischen Habsburg und den Eidgenossen untersucht Claudius Sieber und kommt zum Ergebnis, dass die «Ewige Richtung» ein Versuch gewesen sei, der erst im Nachhinein, unter anderem in der «Erbeinung» von 1511, hochstilisiert worden sei.

Auch die übrigen Beiträge bringen neue Erkenntnisse oder werfen weitere Fragen auf. Mit Blick auf die Schweiz fehlt mir eine Untersuchung zu Luzern: Auch Luzern ging als einzelner Ort vor und konnte sich ein rechtes Stück des Kuchens sichern, nachdem es schon in den Jahrzehnten zuvor forsch ausgegriffen hatte. Und was geschah mit den übrigen Gebieten Friedrichs IV.? Das wäre der naheliegendste Vergleich. Die internationale Perspektive hat – positiv – eine helvetische Nabelschau verhindert und den Blick geweitet. Ein Vergleich ist aber nur vereinzelt möglich, etwa mit dem Beitrag zur eidgenössischen Expansion ins Tessintal und Eschental: Die Spanne zwischen Detailuntersuchungen und Überblicksdarstellungen ist zu gross. Anregend sind sie aber auf jeden Fall.

Zitierweise:
Felix Müller: Rezension zu: Hesse, Christian et al. (Hrsg.): Eroberung und Inbesitznahme. Die Eroberung des Aargaus 1415 im europäischen Vergleich. Ostfildern: Thorbecke 2017. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 57-59.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 2, 2019, S. 57-59.

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